Streitgespräch zwischen Oberbürgermeister und AfD-Landesvorsitzendem

Weil er eine AfD-Demonstration in Tübingen verhindern wollte, stellte sich Oberbürgermeister Boris Palmer einem Streitgespräch mit dem AfD-Landesvorsitzenden Markus Frohnmaier. Und sorgte allein deswegen bundesweit für Wirbel. Denn die Meinungen waren geteilt. Viele, die vor allem dem linken Spektrum angehören, sagten, man dürfe der AfD kein derartiges Forum bieten. Einige von ihnen hatten zu Gegendemonstrationen aufgerufen.
Wie nicht anders zu erwarten, hatten sich am Freitag zahlreiche Demonstranten vor der Hermann-Hepper-Halle in Tübingen versammelt – rund 2000 zählte die Polizei. Die Demonstration verlief aber weitestgehend friedlich.
Laute Tumulte gab es jedoch im Saal, sodass die Veranstaltung unterbrochen werden musste und überlegt wurde, die Diskussion abseits des Publikums zu führen und in den Saal übertragen zu lassen. "Das war eine gewisse Gruppierung, die hier auch Einlass bekommen hat", erklärt Michael Schaal, Pressesprecher vom Polizeipräsidium Reutlingen, "und die hat durch Lärminstrumente versucht, die Veranstaltung zu stören. Sie haben dann vom Veranstalter ein Hausverbot erteilt bekommen und wir mussten das mit dem Ordnungsdienst durchsetzen." Insgesamt 30 Personen wurden von der Polizei aus der Halle begleitet und ihnen anschließend Platzverweise erteilt.
Danach konnte es gesittet weiter gehen – passend zu den Geschehnissen mit dem Thema Meinungsfreiheit. "Nicht mal jeder zweite Deutsche traut sich, hier frei seine Meinung zu äußern", sagte AfD-Landeschef Markus Frohnmaier. "Nur 40 Prozent sagen – nach einer Studie des ifo Institus –, dass sie überhaupt noch frei ihre Meinung äußern können. Über 76 Prozent sagen, sie äußern sich nicht aus Angst vor beruflichen oder privaten Repressionen.
Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer konfrontierte den AfD-Landesvorsitzenden mit rassistischen, antisemitischen und homophoben AfD-Zitaten. Dieser konterte: "Wer sich so bei uns äußert, in der AfD 2025, der wird keinen Platz finden, der wird von unserem Landesvorstand ausgeschlossen. Das ist eine absolute Selbstverständlichkeit. Mit solchen Leuten wollen wir nämlich auch nichts zu tun haben." Es sei erfreulich, so Palmer, "wenn wir uns darüber einig sind, dass das nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Dann müssen Sie sich ab jetzt daran messen, wie Sie mit Leuten vorgehen, die so etwas in Ihren Reihen sagen. Wenn Sie für unsere Demokratie einen Beitrag leisten wollen, dann müssen Sie die Rechtsextremisten und Verfassungsfeinde hinauswerfen", forderte er Frohnmaier auf. "Davon sehe ich bisher nicht viel."
Zur Meinungsfreiheit gehöre auch das Thema "Faire Debatte", was Palmers Meinung nach bei der AfD zu kurz komme: "Es ist eine beliebte Technik, dem anderen etwas zu unterstellen, das er nicht gesagt hat, um es dann erfolgreich zu bekämpfen. Ich habe nach einem bestimmten Zitat gefragt. Sie machen daraus, dass ich der ganzen AfD Homosexuellenfeindlichkeit unterstelle. Das habe ich nie getan!"
Als zweites sprach Palmer das Thema Klimaschutz an. Als Oberbürgermeister einer Stadt, die bis 2030 klimaneutral sein möchte und viel Geld in erneuerbare Energien investiert, zeigte er sich besorgt, sollte die AfD in Regierungsposition kommen, die laut Parteiprogramm erneuerbare Energien nicht weiter aus-, sondern vielmehr zurückbauen wolle: "Sie wollen nach Tübingen kommen und der hiesigen Bürgerschaft androhen, ihren Willen zu missachten. 80 Prozent der Tübinger haben gesagt, sie wollen Windräder in der Stadt und auf unserer Gemarkung bauen. Die AfD will das gesetzlich unterbinden. Das ist ein Angriff auf die kommunale Selbstverwaltung!", so Palmer, und weiter: "Sie wollen unseren Stadtwerken ihre wirtschaftliche Zukunft kaputt machen, indem Sie Investitionen, die schon laufen, unterbinden." Die AfD wolle doch einfach nur einen vernünftigen Energiemix, so wie es überall in Europa gemacht werde, erwiderte der angegriffene Frohnmaier. "Wir wollen bezahlbare Energie. Bezahlbare Energie ist nur dann möglich, wenn wir auf Kernenergie setzen, wenn wir auf konventionelle Energieträger setzen."
Selbstverständlich kam auch eines der Lieblingsthemen der AfD zur Sprache, nämlich Migration und Innere Sicherheit, wo die AfD ganz klar zweitere durch die Migrationspolitik unter Angela Merkel bedroht sieht. "Da sind massenhaft, hunderttausende, insbesondere junge Männer aus anderen Kulturkreisen nach Deutschland zugewandert, die mehr als ein fragwürdiges Verhältnis zu Demokratie, Gesellschaft und Gewalt haben. Wir müssen dafür sorgen, dass solche Leute konsequent, wenn sie straffällig werden oder sich in Deutschland legal nicht aufhalten dürfen, endlich rückgeführt werden." Der Tübinger Politiker konterte: "Die angestammte Bevölkerung – einschließlich der arbeitsamen Migranten, ohne die es keinen Daimler mehr gäbe – hat immer weniger Straftaten zu verantworten. Hier griff Palmer die schweren Straftaten heraus, nämlich Mord, Totschlag, Tötungsdelikte. "Im Jahr 2000 waren es 3676. Im Jahr 2023 nur 2858. Wir haben heute bei mehr Menschen im Land weniger Tötungsdelikte. Das Risiko, dass einem auf der Straße etwas passiert, ist gesunken. Und Sie reden den Leuten Angst ein, dass es wegen der Ausländer andersherum sei."
Laut Frohnmaier möchte die AfD nur Ausländer ohne Bleiberecht abschieben. Vielmehr stelle sich die Frage, wie Deutschland für Fachkräfte attraktiver werden könne – trotz hoher Steuern, niedriger innerer Sicherheit und kaum Aussicht auf Wohneigentum. "Wir wollen die Baukosten senken. Wenn es mittlerweile fürs Bauen über 20.000 Vorschriften gibt, insbesondere durch die Europäische Union, dann läuft etwas falsch. Wenn mittlerweile in Deutschland die Quadratmeterpreise beim Bauen mit die höchsten im europäischen Vergleich sind, dann läuft etwas falsch. Und wenn die AfD das anspricht, dann packt die AfD das Problem an der Wurzel." Unter AfD-Regierung solle auch die Mietpreisbremse und sozialer Wohnbau abgeschafft werden. Sozialen Wohnungsbau abzuschaffen sei in Palmers Augen eine soziale Katastrophe, "das spaltet unsere Gesellschaft, das ist eine Bedrohung für Tübingen und zeigt erneut, warum Sie in dieser Stadt über 6,5 Prozent nicht hinauskommen dürfen."
Trotz der gegenseitigen Angriffe bedankte sich der AfD-Landesvorsitzende zum Schluss der Diskussion beim Tübinger Oberbürgermeister, dass dieser den Mut gehabt habe, mit ihm in die Debatte zu gehen. Der wiederum äußerte Angst vor einer Unterdrückung politisch anders Denkender und einer Außerkraftsetzung des Rechtsstaats, sollte die Alternative für Deutschland tatsächlich an die Macht kommen.